Klimawandel… Wenn es ein Stichwort gibt, dass die Gemüter erhitzt, dann ist das der Klimawandel…
Über wenig Themen wird unsachlicher diskutiert, als über dieses. Über Kork vielleicht noch. Die einen sehen ihn als gekommen, die anderen halten ihn für Propaganda und andere wiederum meinen, es gab ihn schon immer. Den Klimawandel. Nicht den Kork. Es ist ein schwieriges Thema. Ich für meinen Teil kann sagen, wir sind mittendrin. Es ist Tag für Tag im Weinberg erkennbar. Woran ich das erkenne? Es gibt keine Ausfälle mehr. Missernten aufgrund mangelhafter Reife, so wie früher, sind nicht mehr existent. Sicherlich ist das eine Jahr besser, als das andere, aber reif werden die Trauben immer. Das war früher nur in echten warmen Jahren der Fall und beinahe jedes zweite Jahr war anders – unreif eben. Warme Jahre, mit wenig Niederschlag gab es schon immer. Aufzeichnungen darüber gibt es viele, die Gelegenheit diese Weine einmal zu verkosten eher weniger. Umso herausragender, beinahe schon historisch, war die Probe, die die Staatsweingüter im Kloster Eberbach kürzlich organisierte und dazu der ich eingeladen war. Es ging um Weine aus warmen Jahren – zurück bis 1911…
Die Hessischen Staatsweingüter verfügen seit Jahrhunderten über ein relativ einzigartiges Portfolio an großen Lagen im Rheingau. Dementsprechend sieht die Schatzkammer in der Keimzelle des Weingut, im Kloster Eberbach, aus. Sie ist im Grunde genommen das Gedächtnis der Region. Prall gefüllt mit Erinnerungen und Zeitgeschichte, abgefüllt in Flaschen und glücklicherweise fantastisch gepflegt. Und weil das so ist, ist so eine Probe das was es ist – einzigartig und herausragend und in der Form nur von den Staatsweingütern durchzuführen.
Warme Jahrgänge, Weine aus warmen Jahrgängen, stehen im Ruf nicht besonders gut reifen zu können. Die Probe zeigte, dass dies pauschal in keinem Fall so stimmt. 1911 hat es knapp 250 Liter geregnet und es war im Schnitt bei 1.346 Sonnenstunden 16,2 Grad warm. Das ist extrem trocken und extrem warm. Der Riesling aus dem Kiedricher Gräfenberg, ein knochentrockener Vertreter, ist taufrisch. Kaum zu glauben. Beides. Knochentrocken ist zu dieser Zeit eher ungewöhnlich und die Tatsache, dass der Wein taufrisch ist, ist eine Sensation. Zumindest für mich. Hätte mir einer den Wein hingestellt und mir nicht gesagt, welcher Jahrgang das ist, ich hätte mich gründlich blamiert. In die 80iger hätte ich ihn gesteckt, vielleicht in die 70iger. Aber nur vielleicht. Ein Wahnsinn mit einer fantastischen Säure, wunderbar phenolisch, dicht lang und fest. Einer der besten Rieslinge, die ich jemals im Glas hatte. Nichts, aber wirklich gar nichts erinnert an einen Wein aus einem trockenen und sehr warmen Jahr!
Ähnlich ging es mir mit dem 1915er Hattenheimer Riesling. 106 Grad Oechsle hatte der und 9,9 Promille Säure. Ein ungewöhnlicher Säurewert bei dieser Ausreifung. Fast golden in der Farbe war er, roch etwas nach Kamille und wirkte tatsächlich verschlossen. Irre. Auch der Hattenheimer war taufrisch, hatte eine wunderbar präsente Säure und viel Grip. Im Glas – und das ist das eigentlich verrückte – wurde der Wein immer besser.
Der absolute Höhepunkt der Probe war allerdings kein Riesling, sondern ein Spätburgunder. 1945 Assmannshäuser Höllenberg Spätburgunder Natur. Ein Wein, der in seiner Größe, Eleganz und Ausdruck seinesgleichen sucht. Noch nie habe ich einen gereiften Pinot getrunken, der auch nur im Ansatz so war, wie dieser. Eine Ausgeburt an Cassis, fest im Kern und dicht und mit seinen allerfeinsten Tanninen an Eleganz nicht zu überbieten. Die Säure ist beinahe unschlagbar – zur Lese war die bei über neun(!) Promille. Und das bei 116 Grad Oechsle… Der Wein ist perfekt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Besser ist kaum möglich.
Der 1937 aus der selben Lage war beinahe minzig, hatte etwas Teer und wirkte ebenfalls enorm konzentriert. Kein Wunder, auch der hatte 114 Grad Oechsle und eine Säure deutlich über neun. Viel weniger Säure hatte der 1959er, gerade mal um die fünf Promille bei 118 Grad Oechsle. Ich bin kein Freund von Analysewerten, aber in dem Kontext ist es wichtig. Der 59er ist toll, außer Frage ein großer Wein. Aber: die niedrige Säure macht sich bemerkbar. Der Wein wirkt dicker, weniger frisch und präzise. Röstaromen hat er – ein wenig Kaffee. Süßlich auch und damit kommen wir zu entscheidenden Punkt. Die Pinots hatten alle etwas Restsüße. Das ist der große Unterschied zu denen aus dem Burgund und am Ende ist es einer der Gründe, warum sie immer noch so schmecken wie sie schmecken. Die Süße hilft über die Jahrzehnte zweifelsohne.
1911, 1915 uns 1945 waren in der Anmutung, im Geschmack eher wie kühle Jahre, nicht wie warme. Ganz anders 1921. Sowohl der Rüdesheimer Berg Schlossberg, als auch der Rauentaler Eisweg – beides Rieslinge – wirkten beinahe wie eingekocht. Beide etwas minzig, der Schlossberg süßlich und der Eisweg verschlossener. Beide großartig, aber in der Säure nicht mehr ganz so präsent wie die anderen. Der Eisweg hatte von Haus aus aber auch nur etwas mehr als sechs Promille Säure. Die Säure zum Erntezeitpunkt ist also der Schlüssel.
Es war eine unfassbar spannende und beinahe atemberaubende Probe. Nicht nur der Umstand, dass sogenannte “warme Jahre” eben doch extrem lagerfähig sind war spannend. Eben auch die Tatsache, dass bestimmte Herkünfte, extrem erschmeckbar waren. Der Höllenberg und der Schlossberg schrien förmlich aus dem Glas. Ich finde das sehr beruhigend, ehrlich gesagt…
Hier noch die Notizen zu den anderen alten Weinen:
1953 Steinberger Riesling
Kräftig in der Farbe, allerdings nicht wirklich hochfarbig. Wirkt sehr frisch und richt nach Zitronengras und Badesalz. Zucker ist deutlich schmeckbar in der Säure niedriger. Hauch von Karamell und leichte, aber sehr angenehmer Böckser
1949 Hochheimer Domdechaney Riesling
Extrem hochfarbig, dunkles Gold. Etwas Minze und Schoko und kräftig in der Säure. Ziemlich dickes Ding – ein klassischer Auslesetyp
1947 Rauenthaler Gern Riesling
Sehr hell und extrem klar. Riecht etwas nach Geranien, wirkt leicht scharf, etwas käsig und flüchtig
1934 Rauenthaler Steinhaufen Riesling
Gehört heute zur Lage “Baiken”. Riecht wiederum nach Minze und nassem Kiesel. Sehr hochfarbig. Trocken, kompakt und doch irgendwie zart. Dichter Kern und ein Hauch von weißem Pfeffer
1929 Erbacher Marcobrunn
Feine, zart goldene Farbe.Riecht etwas nach Kamillentee, Nüssen und Champignons. Schlank und prägnant in der Säure
1937 Assmannshäuser Höllenberg Spätburgunder Natur
Sehr konzentriert, sehr fest und super kräftig wirkend. Auch wieder Minze und ätherische Anmutungen.
Sehr schöner Bericht, der einem das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt. Aber solche Normalos wie ich werden wohl kaum je die Chance haben, zu so einer Probe Zugang zu haben…
Interessant finde ich die hohen Säurewerte bei einigen der Weine. Wie sind die zu erklären, von früher Lese einmal abgesehen? Ich nehme einmal an, die physiologische Reife (wird auch immer gerne als einer der Faktoren für ein hohes Reifepotenzial gesehen) war bei diesen Weinen gegeben. War’s vielleicht auch die Genetik der Reben?
Wirklich eine beindruckende Liste ! Gibt es solche Veranstaltungen im Kloster Eberbach denn auch ohne persönliche Einladung und wieviel würde es dann kosten daran teilzuhaben?
Im nächsten Jahr findet anlässlich des IRS eine ähnliche Probe statt. Infos kommen demnächst