Mario Scheuermann ist im Alter von 67 Jahren verstorben.
Nachrufe sind etwas schreckliches, denn im Moment des Schreibens ist klar, dass da jemand nicht mehr da ist. Und beinahe zeitgleich fällt einem automatisch ein, was man hätte noch sagen oder machen wollen, welche Diskussion noch nicht beendet war, welches Glas Wein noch nicht getrunken, und über wen noch nicht final und ausgiebig geurteilt wurde. Egal ob Wein oder Mensch.
Wenn es um Mario Scheuermann geht fällt mir nichts ein, was zutreffen würde. Es wurde alles gesagt. Das war der große Vorteil an ihm. Er war streitbar – in jeglicher Hinsicht. Ich war häufig nicht seiner Meinung. Wenn er Recht hatte, hatte er es gründlich. Und wenn er über das Ziel schoss, war das ebenfalls immer sehr gründlich. Scheuermann war die pure Emotion. Ein Pfälzer eben.
Er war immer einer der ersten. Einer der ersten, die überhaupt über Wein schrieben. Er und Rudi Knoll haben den Weinjournalismus in Deutschland mehr oder minder aus der Taufe gehoben. Scheuermann war einer der ersten, gemeinsam mit Bernhard Breuer und Graf Matuschka, der sich mit einer Klassifikation in Deutschland beschäftigt hat. Ohne Scheuermann, gäbe es heute keine Klassifikation. So einfach ist das – auch wenn das manche nicht hören wollen. Scheuermann war einer der besten und präzisesten Weinverkoster im Land. Das gestehen ihm übrigens selbst seine intimsten Feinde zu.
Und er war immer einer der ersten…
Er war einer der ersten, der verstand, was das Internet für unsere Branche bedeuten könnte. Sein Forum “Talk About Wine” war lange Zeit, gemeinsam mit “weinplus”, die Anlaufstelle schlechthin für alle Weinverrückten. Er war einer der ersten Weinblogger im Land, einer der ersten Weintwitterer, einer der ersten auf Facebook, einer der ersten auf Google+ – er war immer einer der ersten, wenn es etwas Neues gab. Er war schnell zu begeistern, und immer extrem emotional. Ein Pfälzer eben.
Scheuermann konnte zu beinahe jedem Thema etwas sagen. Er hatte ein Höchstmaß an Allgemeinwissen und Bildung. Weit über den Weinbereich hinaus. Nur wenige wissen, dass er sich beispielsweise auch im Musikgeschäft bestens auskannte. Er war ein Allrounder. Irgendwie.
Ich verdanke ihm viel. Ohne Scheuermann gäbe es diesen Blog hier nicht. Er war derjenige, der nach meinem Unfall darauf drängte, dass ich die Zwangspause im Bett nutze und mit dem Bloggen anfange. Ohne ihn wäre ich nicht bei Twitter gelandet, ohne ihn hätte ich überhaupt niemals das web 2.0 entdeckt. Ich versuche mir gerade vorzustellen, was das bedeutet. Einen ganz großer Teil meiner heutigen Freunde hätte ich überhaupt nie kennengelernt. Mein Netzwerk in Sachen Wein, ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens, wäre gar nicht existent. Ich, so wie ich heute bin und was ich heute mache, wäre nicht existent.
Und natürlich haben wir uns in den letzten Jahren voneinander entfernt. Wenn man eine andere Meinung hatte, war man schnell auch mal untendurch bei Scheuermann. So war er. Scheuermann war wichtig, aber seine Relevanz nahm ab. Und natürlich hat er Fehler gemacht. Wer macht die nicht! Im Gegensatz zu all den anderen Zeitgeisterscheinungen und “Ichweißaberallesbesserweinpäpste” war er aber immerhin noch da.
Natürlich nahmen die Geister, die er rief, an Relevanz zu. All die Weinblogger und Meinungsbildner, die er immer unterstützt und in ihrem Tun bekräftigt hatte, waren auf einmal die ersten die gefragt wurden. Ganz sicher war das nicht einfach. Und ganz sicher hat er im Umgang mit denen nicht immer eine “bella figura” gemacht – aber das ist völlig normal und menschlich. Du bist seit Jahrzehnten im Geschäft und einer erklärt Dir, dass es nass wird, wenn es regnet… Dabei ruhig zu bleiben ist eine große Herausforderung. Für einen Emotionsbolzen wie Scheuermann eine Herkulesaufgabe. Dabei wäre gerade das seine Chance gewesen, glaube ich.
Er hätte so etwas wie der Helmut Schmidt des Deutschen Weins werden können. Zurückziehen, beobachten und ab und an einfach nur klug kommentieren.
Wer Scheuermann kannte, weiß jetzt sofort, dass das so ganz und gar nicht sein Ding war. Dafür war er zu emotional und viel zu streitbar. Ich hätte ihm noch zwei oder drei Jahrzehnte gegönnt und gewünscht. Zeit, um mit zunehmender Altersmilde zu einem Granden des Deutschen Weins werden zu können. Vielleicht hätte es in der öffentlichen Wahrnehmung ja geklappt.
Für mich war er ein Großer! Er wird mir fehlen – sehr! Meine Gedanken und Wünsche gelten seiner Frau.
Danke Dirk,
Besser hätte man nicht Rückblick halten können. Auch meine Web2.0-Anfänge sind mit ihm verknüpft, von Twitter über Facebook is jin zu Ello. Und ob es baccantus.de gegeben würde, man weiß es nicht.
Danke Dir, Dirk. So ausgleichende und schöne Worte, die dieser Mann, den ich persönlich nur wütend und arrogant kennengelernt habe, von dem ich aber wusste, das er andere Seiten hatte, ganz sicher verdient hat.
Sehr treffend geschildert! Er war ein Mann mit Charakter (wenn auch einem etwas schillernden)!
Danke Dirk, ganz ganz tolle Worte.
Moin Dirk,
vielen Dank für diese Worte. Ohne Mario hätte ich wohl auch Dirk Würtz kaum kennengelernt, wie viele andere auch.
Traurige Grüße aus dem hohen Norden
Wolfgang Funck
Lieber Dirk Würtz, Deine Worte zu Mario sprechen mir aus dem Herzen und ihnen ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Eigentlich! Es gäbe noch viel zu sagen über diesen Pionier der deutschen Weinberichterstattung. Er war streitbar, das ist unstrittig. Bis zu dem Punkt, dass Journalisten es ablehnten, ihn bei Weinreisen nach Österreich zu begleiten. Und dennoch war ich stets ein Freund und Bewunderer von Mario und werde sein Engagement für immer in steter Erinnerung behalten. RIP lieber Mario und danke für alles!
Arrogant war er schon – ja, schon seit wir uns zum ersten mal begegneten beim bald heftigen, streitbaren Gespräch über seine 1985er Gutsklassifikation. Und vielleicht hatte er insofern den Ton der deutschen Weinkritik und Gesprächsmilieu ganz allgemein nicht immer positiv beeinflusst. Je mehr ich ihn aber kennengelert hatte, umso wichtiger waren für mich seine formidable Einsichten in und Leidenschaft für Wein, die er unbegrenzt und großzügig mitteilte. Er übersah nie eine Bitte oder eine Frage, die meinerseits meist aus seinem umfangreichen Weinwissen auszuschöpfen gedacht waren. Seine große Verdienste in Sachen deutscher sowie auch ungarischer Wein werden lange erinnert werden und auch danach immernoch weiter wirken.
Pingback: Scheuermann, der Weinreporter, † 16. Oktober 2015. | Baccantus
Moin Dirk,
schön, dass du dich Marios so liebevoll angenommen hast. Schräger Vogel, ja, polarisierend auch, aber allemal jemand, der diese Form von posthumer Aufmerksamkeit verdient hat. Schon eine der prägenden Weinpersönlichkeiten in den Aufbruchsjahren der Achtziger und Neunziger.
Einer der besseren Nachrufe. Habe lange gezögert, etwas zu schreiben. Ging mir einfach zu nahe. Aber du, Dirk, hast die richtigen Worte gefunden. Mario hat mich immer inspiriert und mich bei meinen ersten Schritten im Wein-Business begleitet. Dafür kann ich gar nicht dankbar genug sein.
Vielen Dank für die herzlichen und warmen Worte zum Abschied von Mario Scheuermann, einem begnadeten Weinkenner und -Kritiker, der uns sehr fehlen wird. Über mein kleines Weinbüchlein haben wir zueinander gefunden, und seit dem hat er auch den Weinbau in Rattey und in Norddeutschland kritisch und hilfreich begleitet. Mit Dankbarkeit denke ich an den Tag zurück, als er uns mit seiner Frau noch im August, kurz vor seinem 67. Geburtstag hier auf Schloß Rattey besuchte. Er war damals, wie so oft, ein Getriebener, auf der Suche nach Neuem, Unbekanntem und Mitteilenswertem, das er nicht für sich behielt, sondern einer breiten dankbaren Gemeinde zugängig machte.
Das ist wirklich ein sehr gefühlvoll geschriebener Nachruf, der Mario sehr gut beschreibt. Mario war es wie kaum ein anderer, der das Thema Wein in die Öffentlichkeit getragen hat. Gerade wir Hamburger durften das bereits in den 80er-Jahren live miterleben, sei es bei “Hamburg kocht auf” oder der von Mario aus der Taufe gehobenen Messe.
Er ist ohne jeden Zweifel eine der bedeutenden Stimmen des Weins in der konventionellen und digitalen Medienlandschaft und hat sich für Winzer und Weinliebhaber durch seinen Pioniergeist sehr verdient gemacht.
Ruhe in Frieden, Mario.
Das hast Du sehr gut und einfühlsam formuliert Dirk. Ich hatte leider nicht mehr die Möglichkeit Mario Scheuermann kennen zu lernen. Ich hatte viel von ihm gehört und kannte ihn nur über das Netz. Wir brauchen Menschen wie ihn in der Weinwelt. Menschen, die sachkundig und pointiert ihre Meinung vertreten, die wach rütteln und auch mal emotional sind.
Pingback: Mario Scheuermann – eine persönliche Erinnerung
Lieber Dirk Würtz,
vielen Dank für diesen grossartigen und einfühlsamen Nachruf. Deinem Nachruf ist nichts hinzuzufügen. Mario hat im Übrigen Mitte der 1990er Jahre auch ein herrliches Buch über die von ihm so geliebten Havana-Cigarren verfasst. Seine überragende Sensorik hat auch vor dem “Grossen Rauch” nicht halt gemacht. Leider konnte ich ihn nie überreden, dieses Buch zu veröffentlichen.
Christoph Wolters, Hamburg
Ich habe diese Seite zur Erinnerung an Mario Scheuermann erst jetzt gefunden. Ich hatte nur eine persönliche Begegnung mit ihm bei einem Abendessen auf einem Bordeaux-Chateau. Man hat mir versichert, dass er liebenswerte Seiten hatte. Die nur leider an dem Abend nicht zum Vorschein kommen wollten. Er hat sich äußerst despektierlich über das gebotene Essen und den Wein ausgelassen. Dazu mag beigetragen haben, dass er wohl den Tag über viel probiert und wohl nicht alles gespuckt hatte. Das soll öfter vorgekommen sein. Aber aus dem Artikel wird ja erkennbar, dass das nur eine Seite seines facettenreichen Charakters war. RIP.