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Tage des Rieslings – Teil 3: Rheinhessen

Den Tag möchte ich erleben, an dem Rheinhessen bei der Grosse-Gewächse-Verkostung einmal auch nur annähernd homogen auftritt. Was der Nahe bereits des Öfteren gelungen ist, nämlich dass der wirklich überwiegende Teil der Weine Grosse-Gewächs-satisfaktionsfähig ist, ist Rheinhessen bisher nicht vergönnt gewesen. Hier scheinen Licht und Schatten aufs Engste miteinander verwoben zu sein. Für eine mythische Weltanschauung mag das hintergründig klingen, als Verkoster ist es leider anstrengend, muss man sich doch durch viele mediokre Weine hindurcharbeiten.

wiesbadenGG01Dabei sind die Weine aus Rheinhessen in einem Jahrgang wie 2013 durchaus privilegiert. Der Rote Hang schafft in einem kühlen Jahr durch seinen warmen Boden und die exponierte Sonnenausrichtung, etwas mehr Reife und Wärme in die Trauben zu transportieren. Und der durch den Donnersberg geschützte Wonnegau als klassisches Regenschattengebiet kommt mit einem feuchten Jahr ebenfalls besser zurecht als beispielsweise die wenige Kilometer südlich liegenden Pfälzer Lagen. Gute Voraussetzungen also, mit den 2013ern zu brillieren.

Und in der Tat: der Großteil der besten Weine der gesamten Verkostung kam aus Rheinhessen. Das Geviert Keller, Wittman, Battenfeld-Spanier und Kühling-Gillot dominiert recht eindeutig die absolute Spitze an trockenen Weinen aus Deutschland. Und dieses massierte Auftreten von Exzellenz ist umso überraschender, als dass aus der gleichen Region, ja teilweise aus den gleichen Lagen, eben auch Weine kommen, die Exzellenz nur vom Hörensagen kennen.

Beginnen wir beim Roten Hang und den beiden nördlichsten Vertretern, dem “Rothenberg” und dem “Pettenthal”. Hier präsentieren Kühling-Gillot und das Weingut Gunderloch jeweils zwei absolut herausragende, große Rieslinge. Bei Kühling-Gillot ist der “Rothenberg”, der „wurzelechte“, zu diesem Zeitpunkt immer der zurückhaltendere und schweigsamere Wein. Das gilt für den Gunderlochschen “Rothenberg” nicht. Der Wein ist zugänglich, hat eine enorme Spannung und offenbart ein Aromenspektrum von nassem Stein und etwas Rauch bis hin zu Orangenzesten und Basilikum. Was ihm an dunkler Tiefgründigkeit etwas fehlt, macht er durch großen Trinkspaß und einen wunderbaren Zug wieder wett.

Überhaupt scheint sich Gunderloch, soviel kann man nach drei Jahren in Folge behaupten, wieder gefangen zu haben. Denn auch das “Pettenthal” ist ein toller und nobler Wein, der jedoch überraschenderweise etwas schlanker und säurebetonter als der “Rothenberg” erscheint. Beide Weine, sowohl der “Rothenberg” wie auch das “Pettenthal”, sind absolut würdige und sehr typische Vertreter des Roten Hangs mit seinem porösen Tonschieferboden, der eher die kräutrigen Aromen in den Wein zaubert.

Das “Pettenthal” von Kühling-Gillot ist und bleibt jedoch die Benchmark am Roten Hang. Noch kommt an Tiefe und Tabakigkeit, an Entspanntheit und Helle kein anderer Wein an ihn heran. Das “Pettenthal” von Kühling-Gillot löst bei mir die Assoziation eines abgedunkelten Raums aus, bei dem man die Vorhänge zur Seite zieht, damit das helle, warme Sonnenlicht in den Raum strömen kann. Es ist ein Gefühl von Geblendetsein und Glück, eine jähe Ahnung, dass Gott doch nicht tot ist, die dieser Wein auszulösen imstande ist.

wiesbadenGG_001Die nächste spannende Paarung in den Rheinhessen-Flights bietet sich beim Hipping an. Hier haben das Weingut Keller aus Flörsheim-Dalsheim und Gunderloch je einen Wein im Rennen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das wirklich Faszinierende am Kellerschen “Hipping” ist das zuerst Tänzelnde, das der Wein auf die Zunge bringt, und das dann im Abgang zu etwas Zartem und Schwebenden wird. Man stelle sich ewigen Frieden und universelle Harmonie vor und man bekommt einen Eindruck von dem, was den Wein auszeichnet. Die gesamte Tonalität des Weins tendiert zum Hellen und Klaren, die dunklen Erdaromen, die Kräuter und den Tabak hat er überwunden. Es ist noch nicht einmal überbordende Frucht, die der Wein nach außen trägt. Am ehesten ist seine Unfassbarkeit mit der einer Sternschnuppe vergleichbar. Das ist großartig und berührend.

Fast rustikal gegen den Keller wirkt der “Hipping” von Gunderloch, wobei ich hier statt rustikal auch ehrlich oder typisch schreiben könnte. Die Klasse des “Rothenbergs” und des “Pettenthals” verfehlt der Wein etwas, nichtsdestotrotz ist es ein Wein, der Freude bereitet.

Den Höhepunkt an Weingröße erreichen wir schließlich im Wonnegau. Hier präsentiert Philipp Wittmann insgesamt vier Grosse Gewächse, die alle unterschiedlicher nicht sein könnten, aber jeder für sich ein Monument ist. Bereits die “Aulerde” wartet mit einer atemberaubenden Laszivität auf. Es ist der Wein der Wittmannschen Kollektion, der erfahrungsgemäß am offensten und zugänglichsten ist. Aber mit dem Jahrgang 2013 hat die “Aulerde” alle Bravheit abgelegt und zeigt dunkle Tiefe gepaart mit herrlicher Sinnlichkeit.

Schmutziger, böser und abgründiger ist dann das Wittmannsche “Kirchspiel”, das ich noch nie so kompakt und fast besitzergreifend erlebt habe. Die Nase ist offen, rauchig, noch deutlich von Gäraromen geprägt, aber im Hintergrund öffnet sich bereits das Tor zu einer herben und expressiven Gelbfruchtigkeit. Im Mund dominieren noch deutlich die dunklen, würzigen Aromen und die Säure ist noch nicht ganz zur Ruhe gekommen. Aber der Wein hat so eine kraftvolle und gleichzeitig seidige Anlage, dass er mit etwas mehr Reife deutlich zulegen und sich abrunden wird.

Und dann ist da der “Morstein” von Wittmann. Es ist der Wein, der mich immer mehr an den Mann ohne Eigenschaften erinnert. Er zeigt nichts im Übermaß und alles, was er hat, ist so verschlungen und dicht gewebt, dass es wiederum auf anderes verweist. Das Faszinierende am “Morstein” ist seine schwebende Eleganz, sein Spiel, seine sinnliche „nothingness“, in der alles da ist und doch nichts greifbar. Wenn man diese Art buddhistischer Meditationsweine schätzt, ist man beim “Morstein” perfekt aufgehoben. Der “Morstein” ist auch aus 2013 wieder großes Riesling-Kino.

wiesbadenGG04Mein Favorit jedoch war nicht der grandiose “Morstein”, sondern das noch grandiosere “Brunnenhäuschen” von Wittmann. Es war der einzige Wein in Wiesbaden, der mir eine Gänsehaut bereitet hat. Dabei war die Nase eher zurückhaltend: nicht ganz so greifbar wie die vom “Kirchspiel,” aber auch nicht ganz so freilassend wie die vom “Morstein”. Die Achterbahnfahrt beginnt im Mund. Eine fast schmerzhafte Salzigkeit ist der erste Eindruck (wohlgemerkt Salzigkeit, nicht Säurelastigkeit). Und wenn der erste Eindruck und die Überraschung dann langsam abebben, offenbart der Wein eine Konzentriertheit und fast seidig-körnige Struktur, bei der jedes vermeintliche Körnchen im Mund sanft zu zerplatzen scheint, um eine wunderbare exotische Fruchtigkeit freizusetzen. Die Bandbreite reicht von warmen gelben Fruchtnoten wie Mango und Pfirsich, über grüne Apfelaromen bis hin zu kühlen und erfrischend wirkenden Minztönen. Dabei ist der Wein so gefasst und ziseliert, so messerscharf konturiert, dass der Hauptbegriff, der sich tief ins Hirn brennt, der der atemberaubenden Eleganz ist.

Glückseligkeit ist ein “Brunnenhäuschen” aus 2013.

4 Kommentare zu “Tage des Rieslings – Teil 3: Rheinhessen

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