Die Liberalisierung des Weinmarktes ist in aller Munde und wird heftig diskutiert. Insbesondere die Abschaffung der Pflanzrechte ist ein grosses Streitthema. Die einen wollen nur bedingt an dieser Regelung festhalten, die anderen (zu denen zähle auch ich) sind für die Abschaffung selbiger.
Die “WEINWIRTSCHAFT” berichtete in ihrer Ausgabe 18/12 über eine Studie zu den Auswirkungen einer möglichen Liberalisierung des Pflanzrechtesystems in Rheinland-Pfalz. Tenor des Artikels: Die Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen. Grund genug mit einem der Autoren dieser Studie, Pro. Dr. Marc Dreßler vom DLR Rheinland-Pfalz zu sprechen (es geht doch nichts über ein funktionierendes Netzwerk…;) )
WÜRTZ-WEIN:. Ihr habt in Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim in Stuttgart eine Studie zu den Auswirkungen der Liberalisierung der Pflanzrechte erstellt. Zu welchem ersten Ergebnis kommt Ihr?
Prof. Dr. Dreßler: Die Forschungsarbeit läuft noch. Erste Ergebnisse sind, dass in Rheinland Pfalz ein über die Erwartungen auch von Experten hinaus verfügbares Flächenpotenzial vorhanden ist, was weinbaulich nutzbar wäre. Kernfrage ist hierbei, wie viel des Potenzials durch Unternehmer auch ausgeschöpft würde. Hierfür liefern wir in der Folge Szenarien. Erste Modellläufe haben ergeben, dass auch bei sehr restriktiver Potenzialausschöpfung sich Preiseffekte ergeben.
WÜRTZ-WEIN: Seitens der Gegner der Liberalisierung wird immer das Sterben der Steillagen als Argument angeführt, sollten die Pflanzrechte wegfallen. Ist das richtig?
Prof. Dr. Dreßler: Unternehmer realisieren Kostensenkungspotenziale, um Ihre Wirtschaftlichkeit und damit den Erfolg zu erhöhen. Dies gilt auch für den Weinbau. Wenn die Steillagenbewirtschaftung nicht zu besseren Produkten oder die Zusatzaufwendungen nicht über höhere Preise realisiert werden können, wird substituiert. Diese strukturelle Marktveränderung zeigt sich mit der Reduktion von Steillagenbewirtschaftung. Diese Strukturveränderung wird sich dann verstärken, wenn die Nutzung kostengünstigerer Fläche möglich ist, was ein Ergebnis der Liberalisierung wäre. Dabei ist die räumliche Verfügbarkeit zu berücksichtigen, d.h. Ersatzfläche muss auch in räumlicher Nähe verfügbar sein, sonst wären die Kosten und der Mehraufwand für eine Standortveränderung zu berücksichtigen.
WÜRTZ-WEIN: Ist mit einer überproportionalen Ausweitung der deutschen Rebfläche zu rechnen und wird der Preis für deutschen Wein deutlich sinken, wenn die Pflanzrechte wegfallen?
Prof. Dr. Dreßler: Die Frage kann ich erst anhand der anstehenden Modellergebnisse beantworten. Die ersten Simulationsläufe haben jedoch auch bei geringer Ausweitung negative Preiseffekte gezeigt.
WÜRTZ-WEIN: Wie viele weinbauwürdige Flächen haben wir denn noch in Deutschland und sind denn jetzt alle bepflanzten Flächen tatsächlich weinbauwürdig??
Prof. Dr. Dreßler: Für Rheinland Pfalz hat ein Flächensimulationsmodell die Weinbaueignung von zusätzlichen Flächen in Höhe von 135.000 ha ergeben. Bei Anwendung der Simulation hat ein Teil der Bestandsfläche den Kriterien nicht Stand gehalten.
WÜRTZ-WEIN: Ist der deutsche Weinbau in einem völlig liberalisierten Markt wettbewerbsfähig?
Prof. Dr. Dreßler: Der deutsche Wein ist aufgrund der Produktqualität, des Preis-Leistungsverhältnisses, der Kundengewohnheiten und –präferenzen wettbewerbsfähig. Dies wird sicherlich auch in einem liberalisierten Markt der Fall sein. Neue Marktsituationen bedingen dann jedoch weitere strukturelle Veränderungen. Die Stichworte, wohlgemerkt nur Stichworte wären:
- Mehr strategisches Profil der Anbieter
- Mehr Vielfalt – insbesondere in den Geschäftsmodellen
- Mehr Varianz bei der jeweiligen Wertschöpfungstiefe: warum machen alle immer alles?
- Höhere Preisdurchsetzung, aber kundenzentriert und mit entsprechenden Stories – nicht “… das Jahr war schlecht …”
- “Unkomplizierterer Umgang mit Wein”
- Mehr Selbstbewusstsein
- Höhere Profitabilitäten
- Kooperationen gezielt einsetzen
- Internationales Profil schärfen und profilieren
- Brands aufbauen und leben
- Professionellere Unternehmensführung – Strategien, Ziele, Unternehmertum …
- Kommunikationsfähigkeit der Anbieter stärken
- Unternehmensführung praktizieren
- Innovativere Geschäftsmodelle – aber auch oftmals “mehr Verzicht und damit gezieltere Innovation”
- Mehr Integration von Praxis und Wissenschaft
- Mehr “unternehmerische Versuche” wagen
- Weniger Diskussion um DAS PRODUKT und dass man ja alles dafür tut …
WÜRTZ-WEIN: Deutscher Wein wird stark nachgefragt. Können wir es uns leisten, diese Nachfrage nicht zu befriedigen?
Prof. Dr. Dreßler: Grundsätzlich hege ich Skepsis, dass der „Markt mehr Wein“ braucht. Wenn „der Markt“ so stark nach deutschem Wein verlangt, dann müssten wir doch über entsprechende Preisanpassungen die Gewinnsituation der Unternehmer verbessern. Das kann ich nicht in dem notwendigen bzw wünschenwserten Umfang erkennen.
Die Minderernten der letzten Jahre haben Regalfläche im Handel gekostet. Auf diese Gefahr hatte ich bei den Weinbautagen in der Pfalz 2010 bereits hingewiesen und entsprechende strategische Maßnahmen eingefordert. Dieses Jahr ist die Wettbewerbsposition gegenüber dem europäischen Wettbewerb anscheinend für uns wieder besser. Die Liberalisierung birgt die Gefahr, dass alleine aufgrund eines Zusammenspiels von „Zeitverzögerung bei Neupflanzung“ und „natürlichem Einfluss“ das Gleichgewicht durch Übermengen massiv aus dem Lot gerät – was auch entsprechende Preiseffekte zur Folge hätte.
WÜRTZ-WEIN: Ich habe in der ganzen Diskussion immer das Gefühl, dass beide Seiten, sowohl die Befürworter, als auch die Gegner der Liberalisierung gerne Horroszenarien aufzeigen. Woran liegt das Deiner Meinung nach?
Prof. Dr. Dreßler: Ich stimme mit Deiner Wahrnehmung überein. Im Laufe meiner Zeit als Unternehmensberater hatte ich mehrfach ähnliche Erfahrungen bei Liberalisierungsüberlegungen auch in anderen Branchen. Liberalisierung ist doch eine massive Veränderung mit möglichen weitreichenden Veränderungen und Einfluss auf Besitzstände – daher sind entsprechende Positionierungen naturgemäß. Angesichts der Komplexität der Umwelt ist unsere Prognosefähigkeit eingeschränkt und Extremszenarien bestimmen den Dialog. Hoffentlich können wir mit unseren Studienergebnissen zur Objektivierung im Dialog beitragen.
Zur Person:
Prof. Dr. Marc Dreßler (45) hat nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann BWL in Nürnberg studiert, ein MBA-Studium an der University of Vermont in den USA absolviert und anschließend über Kooperationsstrategien promoviert. In seiner mehr als 20jährigen Tätig-keit als Unternehmensberater – anfänglich als angestellter Berater und später als selbständiger Unternehmer und einer von vier Senior Partnern einer globalen Top-Management-Beratung – war er mit unterschiedlichsten unternehmerischen Herausfor-derungen in verschiedenen Industrien und Branchen betraut.
Seit 2010 ist Marc Dreßler Professor für BWL und Unternehmensführung der Hochschule Ludwigshafen und lehrt und forscht im „Dualen Studiengang Weinbau und Önologie“ und im Kompetenzzentrum Weinforschung. Er ist Experte bei strategischer Repositionierung, Organisationsveränderungen, Innovationsmanagement und Vertriebsoptimierungen.
Einen ausführlichen Blick auf die ersten Ergebnisse gibt es hier: http://www.wine-economics.org/workingpapers/AAWE_WP115.pdf
Schönes Interview, interessante Studie. Aus der Schlußfolgerung des Working Papers: “Under the new market circumstances, smaller farms in hilly regions will be disadvantaged.
Bearing rather high production costs even for the baseline market situation, they might be
forced to deal with the market price which is lower than their production costs under the
projection. The possible ways for such farms to continue their business include reorientation
towards production of high value wines, so-called “luxus” wines, enlargement and
reallocation. The possibility to realize these options will largely depend on the future political
and market situation.” Das ist, denke ich, auch der Grund für die Angst der vielen kleinen Betriebe. Bessere Qualität zu produzieren und die Kosten hierfür zu kontrollieren scheint wirklich die einzige Alternative zu sein, wettbewerbsfähig zu bleiben.
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Die Alkoholsteuer erhöhen, ist schließlich gesundheitsgefährdent und zum genießen kann man sich den Wein dann immer noch leisten. Billigstwein wird dadurch empfindlich teurer, das mittlere und obere Segment jedoch kaum berührt. Für den Wein kontrollierter Herkunft aus kulturell schützenswerten Steillagen wird die Alkoholsteuer/Weinsteuer/Mehrwertsteuer als Steuerungsmittel dagegen reduziert. Das wird wohl nicht ganz reichen, um Steillagen konkurenzfähig zu machen – aber ist ein Ansatz in die richtige Richtung. Wenn es einen politischen Willen gibt, Steillagen zu schützen, dann gibt es auch Möglichkeiten. Ob der Anbaustop jedoch eine dieser Möglichkeiten ist, wage ich zu bezweifeln.