In unserer Reihe “…im Gespräch” kommt heute Stefan Ress zu Wort. Er ist nicht nur Weingutsbesitzer im Rheingau, sondern seit Sommer 2010 auch Präsident des Rheingauer Weinbauverbandes. Wir haben ihm per E-Mail einige Fragen zur EU-Weinmarktreform geschickt, die er uns dankenswerter Weise beantwortet hat.
Würtz-Wein: Kaum ein Thema wird in der Fachwelt so viel und so heiß diskutiert wie die EU-Weinmarktreform. Woran liegt das?
Stefan Ress: Die in 2009 in Kraft getretene Neuordnung der EU- Weinmarktorganisation ist die erste umfassende, bedeutende Änderung des europäischen Weinrechts seit 1970. Da sie europäische Rechtsaufassungen aus dem allgemeinen Agrar-und Lebensmittelrecht mit unseren doch unterschiedlichen historisch begründeten Rechtsprinzipen im Weinrecht verbinden will, wird diese VO als Paradigmenwechsel in unserer Rechtssetzung verstanden. So ist es verständlich, wenn darüber viel und heiß diskutiert, zumal die nationalen Ausführungsgesetze in diesem Jahr zu beraten sind, mit dem Ziel, diese in 2012 in Kraft zu setzen.
Würtz-Wein: Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem der Reform, wo sehen Sie die Chancen?
Stefan Ress: Chancen bestehen meiner Einschätzung nach vor allem in Bezeichnungsrecht, nämlich die im Rahmen nationaler Rechtsetzung auf Grund von Ermächtigung an Bund und Länder, die uns die EU Weinmarktordung erlaubt, offensichtliche Fehler des 1971er Gesetzes korrigieren, so z.B. folgende Prinzipien wieder in Kraft zu setzen:
- je enger die Herkunftsbezeichnungen (gerade im Bereich der Lagenwein), umso höher die Qualitätsanforderung
- die Bezeichnung der Rebsorte an zusätzliche Bedingungen hinsichtlich Qualität und Herkunft zu binden
- Geschmacksprofile für verschiedenen Qualitätsstufe zu definieren
Würtz-Wein: Von allen Seiten wir der Tod der Steillagen gepredigt, sollten die Pflanrechte fallen. Ist es nicht tatsächlich so, dass diese Lagen schon seit Jahrzehnten bedroht sind und immer öfter brach liegen und verbuschen? Wird hier nicht eine Alibi-Diskussion geführt?
Stefan Ress: Wenn überhaupt ist die Steillage dann bedroht, wenn sie trotz hohen Qualitätspotentialen nicht als “besondere Lage” für den Verbraucher erkennbar ist. Dieses sicherzustellen, dazu sollten wir den bereits am Markt gesetzten Trend weiterfolgen und dem Gesetzgeber mutige Vorschläge machen, siehe oben.
Würtz-Wein: Ist es denn nicht gerade so, dass im Zuge der geschützten Herkunft und der zu erstellenden „Appellationskataloge“ gerade die Steillagen ganz besonders geschützt werden könnten, noch dazu im Profil deutlich gestärkt und abgegrenzt gegenüber der „Massenware“?
Stefan Ress: Steillagen verdienen sicher den besonderen Schutz, der dann am besten gewährt ist, wenn man sie durch Herkunftsbegriffe schützt, welche Besonderheit, Unverwechselbarkeit und hohe Qualitätspotenziale einer bestimmten Lage schützt. Lagenklassifizierungen, verbunden mit hohe Qualitätsanforderungen bei der Verwendung der betreffenden Lagenbezeichnung, lassen dann auch Preisdifferenzierungen nach oben zu und damit eine rentable Bewirtschaftung der Steillagen.
Würtz-Wein: Der Württembergische Weinbaupräsident Hermann Hohl ist im vergangenen Dezember in Brüssel abgeblitzt und droht jetzt offen mit Demonstrationen, notfalls auch in Brüssel auf der Strasse, sollte an der Reform nicht nachgebessert werden. Was sagen Sie dazu?
Stefan Ress: Grundsätzlich machen wir einen Fehler, wenn wir uns von Gesetzesänderungen und ständig neuen Reglementierungen die Behebung aller Probleme erwarten; der andere Weg ist richtiger: möglichst den Rechtsrahmen so zu definieren, dass er Gestaltungsräume bietet, die den Marktteilnehmer Freiheit zur Erprobung von Konzepten am Markt gibt, dann die normative Fakt des Faktischen wirken zu lassen und gegebenenfalls am Markt erprobte Normen später gesetzlich absichern zu lassen.
Übrigens, wir haben zunächst einmal die EU-Rechtsfestsetzungen zu akzeptieren und uns darin zurechtzufinden, sind diese schließlich auch mit deutscher Mitwirkung entstanden. Da ausdrücklich in der Weinmarktordnung vorgesehen ist, diese nach schon nach drei Jahren Erfahrung 2012 auf den Prüfstand zu stellen und dann gegebenenfalls über Änderungsanträge an die Kommission, sollten wir fleißig konstruktiv alle guten Vorschläge sammeln, diskutieren und einbringen.
Also Denkverbote gibt es sowieso nicht, Diskussionen nach Erprobung guter Konzepte sowieso nicht, nur das Legalitätsprinzip ist zu respektieren.
Würtz-Wein: Der stellvertretende Generaldirektor der Europäischen Kommission, Lars Hoelgaard, hat gerade in Wiesbaden folgendes geäußert: „Die Zahlen der vergangenen Jahre zeigen, dass die Pflanzrechte in der Praxis zu keinerlei Ertragsregulierung geführt haben“. Was entgegnen sie dieser Aussage?
Stefan Ress: Das sehe ich nicht so, die Einschränkung von Pflanzrechten, so sie auch tatsächlich eingehalten werden, bestimmen den Ordnungsrahmen der Weinwirtschaft, der nicht nur theoretisch sonder auch sehr praktisch die Märkte beeinflusst, deshalb würde ich nicht so wie Hoelgaard von “keinerlei Ertragsregulierung” sprechen.
Würtz-Wein: Bei uns liegt die Weinbaukompetenz in den Händen der einzelnen Bundesländer und nicht zentral in Berlin beim Landwirtschaftsministerium. Brüssel hätte gerne, dass sich das ändert. Das würde bedeuten, dass diverse Ämter und Funktionäre überflüssig würden. Könnte das auch ein Grund für den massiven Widerstand sein, oder ist das zu sehr „konstruiert“?
Stefan Ress: Richtig ist, dass in der Europäischen Gemeinschaft Regulierungskompetenz und damit Gesetzgebungskompetenz bei der Kommission liegt, aber erhebliche Ermächtigungen an die Mitgliedsländer abgetreten werden, mit der ausdrücklichen Möglichkeit, dass beispielsweise im deutschen Falle der Bund Kompetenzen weitergibt an die einzelnen Bundesländer. Das halte ich auch für sehr richtig, denn die Möglichkeit, differenzierte Regeln zu kodifizieren sind marktgerecht, und in den verschiedenen deutschen Weinbaugebieten ticken die Uhren nicht immer gleich.
Aber Sie haben recht, das darf nicht zu mehr Bürokratie führen, braucht es auch nicht nach meiner Erfahrung, besonders dann nicht, wenn man streng das Prinzip verfolgt, bei jeder neunen Rechtfestsetzung bestehende Verfahren und sinnvolle Kontrolle zu vereinfachen.
Würtz-Wein: Kann es denn überhaupt einen „deutschen Sonderweg“ geben, wenn alle anderen europäischen Staaten einen einheitlichen Weg gehen? Ist das denn nicht eine Schwächung unseres Standortes?
Stefan Ress: Ich möchte den Wege gegangen sehen, der, weil marktgerecht und das Prinzip der Subsidiarität verfolgend, den deutschen und Rheingauer Winzern den Ordnungsrahmen verbessert, in dem sie erfolgreich und auf lange Sicht wirtschaften können, weil sie in der Lage sind, dem Verbraucher einen hohen “Nutzen” zu stiften.