Michael Willkomm ist der Inhaber der größten deutschen Weinkellerei Peter Mertes. Im Fachmagazin “Weinwirtschaft” äußert er sich ausführlich und ganz differenziert zu der EU-Weinmarktreform. Bisher hatte es den Anschein, dass die gesamte deutsche Weinwirtschaft unisono große Teile der Weinmarktreform ablehnt -Anbaustopp, kontrollierte Herkunft. So stellen es jedenfalls viele Funktionäre und Politiker dar. Das dies nicht der Fall ist, zeigt die Initiative der Moselwinzer vergangene Woche. Jetzt äußert sich einer der wichtigsten “Player” in der deutschen Weinwirtschaft zu diesem Thema. Und siehe da, auch er hat eine andere Meinung und Sicht der Dinge. Selbst wenn einige Kritiker jetzt sagen werden, dass das ja völlig klar ist, schließlich handelt es sich um die größte Kellerei, sind die Ausführen doch sehr lesenswert! Dieses Interview ist in der neuesten Print-Ausgabe der “Weinwirtschaft” erschienen. Wir bedanken uns beim Meiniger-Verlag für die Genehmigung, es in voller Länge auf unserem Blog veröffentlichen zu dürfen.
Herr Willkomm, was denken Sie ist der Grund, weshalb die EU-Kommisssion eine Aufhebung des Anbaustopps in die Reform der europäischen Weinmarktordnung aufgenommen hat?
Das liegt doch auf der Hand, und ich sehe das pragmatisch. Die EU will damit die illegalen Zustände in Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien beheben. Die haben sich nie an den Anbaustopp gehalten.
War das tatsächlich so?
Ja, die Eu will die Zustände legalisieren, an die sich niemand hält. Ganz aktuell gibt es das Beispiel der italienischen Region Langhe, die verkünden ganz offen, dass sie neue Flächen anlegen und Rebflächen erweitert haben und noch wollen. Oder nehmen Sie das Anbaugebiet Bordeaux oder die Ausdehnung der Weinregionen in Spanien. In Bordeaux wurden die Rebflächen in den letzten Jahrzehnten um mehr als ein Fünftel erweitert. Was hat das mit Anbaustopp zu tun? Oder die vielen neuen DOs in Spanien. Dort wurden doch massenhaft neue Rebflächen angelegt. Wie kann das sein? Auch in Deutschland hat man sich nicht wirklich an die Regeln gehalten. Denken sie nur an den Eiertanz um die “nicht, oder schlecht genehmigten Rebflächen”.
In Deutschland wurde der Anbaustopp vielleicht noch am strengsten eingehalten…
Genau. Die Deutschen halten sich zumindest in Teilen daran und legen sich selbst Beschränkungen auf, kontrollieren und sanktionieren, und andere machen das Geschäft. Es ist doch ein unhaltbarer Zustand, dass auf der einen Seite ständig versucht wird, in der EU die Überproduktion einzudämmen, Prämien für die Vernichtung von Überschüssen zu bezahlen und andererseits das Thema der Neuanlage von Rebflächen bis hin zur Ausdehnung des Weinbaus in Regionen, in denen es bis dato keinen Weinbau gab, nirgendwo konsequent durchgesetzt wurde.
Welche Auswirkungen hatte der Anbaustopp auf den deutschen Weinbau?
Keine positiven. Die Überproduktion ist dadurch nicht eingedämmt worden. Deshalb haben wir ja auch neben der Begrenzung des Anbaus neuer Rebflächen die Hektarertragsregulierung mit einer sehr restriktiven Kontrolle. Das Problem dieses Systems ist allerdings die Unvollständigkeit. Wir haben nur eine gedeckelte Menge nach oben, nicht aber nach unten. Woher nehmen wir bei kleinen Ernten die notwendigen Mengen. Es fehlt uns doch immer wieder Wein, um die Märkte richtig bedienen zu können. So kann man kein nachhaltiges Geschäft aufbauen. Außerdem müßte man, wenn der Ertrag und damit der Umsatz nach oben begrenzt sind, bei Mindererträgen Subventionen bezahlen. Der Staat macht sich doch mit einer solchen Regelung selbst zum Unternehmer.
Brachliegende Flächen für die Anlage neuer Rebflächen stehen in der deutschen Landwirtschaft genügend zur Verfügung. Doch nicht alle sind wirklich für Weinbau geeignet. Halten Sie es für sinnvoll, Kriterien für rebwürdiges Gelände festzulegen?
Das mag sinnvoll sein, wo es um die Produktion von Top-Qualitäten geht. Aber man muß doch klar den Ursprung der Rebe sehen. Sie ist eine Pflanze aus dem Mittelmeerraum, überaus genügsam und findet selbst auf kargen Böden und unter schwierigen Bedingungen gute Voraussetzungen für ein ideales Wachstum. Die Anpassungsfähigkeit der Rebe ist groß. Grundsätzlich sollten wir die Frage des Anbaus dem einzelnen Landwirt überlassen. Er kann am besten beurteilen und entscheiden, wo und was er pflanzen und anbauen will. Er trägt schließlich auch das wirtschaftliche Risiko.
Als ein Argument für die Beibehaltung des Anbaustopps wird immer wieder die Erhaltung traditioneller Rebflächen, insbesondere von Steillagen, angeführt. Was halten Sie davon?
Hier wird ein falscher Zusammenhang konstruiert. Der Schutz traditioneller Flächen ist sicherlich ein berechtigtes Anliegen, doch das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Den Steillagen geht es deshalb so schlecht, weil in Flachlagen einfach günstiger produziert werden kann. Das ist eine rein wirtschaftliche Frage. Darüber hinaus fehlt eine klare Deklaration. Die meisten sogenannten Steillagen umfassen sowohl Steil- als auch Flachlagen. Es ist doch klar, wer das Rennen gewinnt. Wenn ein Großteil des Weines früher beispielsweise als Piesporter Michelsberg vermarktet wurde und diese Bezeichnung unterschiedlichste Lagen umfasst, so muss man sich doch nicht wundern, dass die wirtschaftlich bevorzugten Flächen weiterbebaut werden und die anderen brachliegen. Mein Vater hatte das damals eingeführte System der Großlagen abgelehnt und dafür plädiert, so wie in Frankreich etwa bei Bordeaux, Ortsnamen für Großlagen zu verwenden. Aber das wollte man ja nicht haben.
Von einigen Funktionären im Weinbau wird immer wieder auf die exzessiven Überproduktionen in Überseeländern hingewiesen z.B. in Kalifornien und in Australien. Man begründet diese Überproduktion durch die Freigabe der Anbauflächen. Was halten Sie von einer solchen Argumentation?
Die solches behaupten, kennen die Zusammenhänge nicht. In Kalifornien gibt es grundsätzlich keine Überproduktion, die USA sind immer noch eines der größten Wein importierenden Länder der Welt. Zusätzlich werden erhebliche Mengen aus den USA heraus exportiert. Die tatsächlich existierende Überproduktion in Australien hat ganz andere Gründe: Hier hat der Staat mit Subventionen die Flächenausdehnung angeheizt. Jeder Steuerpflichtige konnte innerhalb einer kurzen Periode die Anlegung von Weinbauflächen steuerlich voll abschreiben. Eine ähnliche Politik haben wir hierin Deutschland im Bereich der Immobilien kennengelernt nach der Wiedervereinigung, die Konsequenzen sind bekannt.
Wie stark soll und darf der Staat überhaupt in die Wirtschaft eingreifen?
Ich bin dafür, dass traditionelle Lagen erhalten werden. Der Anbaustopp wird jedoch nicht den Erhalt der Steillagen oder von traditionellen Rebflächen sichern. Wenn man an den wirtschaftlichen Gegebenheiten vorbei versucht, den Weinbau auf traditionellen Flächen durch einen Anbaustopp zu erhalten, dann bedeutet das das Diktat einer Planwirtschaft statt der Entfaltung einer freien Marktwirtschaft.
Kann denn die Planwirtschaft im Weinbau ein Weg sein?
Wir müssen uns immer vor Augen halten: Deutsche Weine haben einen Marktanteil im Inland von weniger als 50 Prozent, ganz zu schweigen von den Chancen deutscher Weine im Export. Wir berauben uns bewußt unserer Chancen. Volkswirtschaftlich führt das geradewegs in eine Sackgasse. Der Druck aus den Flach- auf die Steillagen bleibt und ist durch die viel leichtere Mechanisierbarkeit und den rationelleren Einsatz von Maschinen entstanden. Im Übrigen ist die derzeitige Politik für die Weinbranche eine Katastrophe. Wie sollen junge Leute in eine solche Branche einsteigen, wenn ihnen von vorneherein alle Chancen genommen werden. Es sind doch die Seiteneinsteiger und Außenseiter, die Innovationen und eine Wirtschaft nach vorne bringen. All dessen berauben wir uns. Es gibt in der Geschichte genügend Beispiele dafür. Ganze Staaten haben sich zugrunde gerichtet, nur weil sie danach trachteten, planwirtschaftlich in ihre Volkswirtschaft eingreifen zu müssen.
Kann sich der deutsche Weinbau überhaupt abkoppeln vom übrigen Europa und im Alleingang einen Anbaustopp aufrechterhalten?
Das wäre eine enorme Wettbewerbsverzerrung. Wir leben nicht auf einer Insel und wir werden entscheidend davon beeinflußt, was in Frankreich, Spanien und Italien passiert. Jedem Insider ist bekannt, dass in Brüssel Frankreich die Agrarpolitik und die dortigen Entscheidungen dominiert. Wir könnten dann doch nur überleben, wenn wir eine Art Konkurrenzausschluss und ein rigides Einfuhr- und Zollsystem einführen würden. Das ist einfach undenkbar.
Was passiert, wenn einzelne Länder den Anbaustopp aufheben und andere ihn weiterhin beibehalten?
Alles was schlecht zu bebauen ist, wird langfristig aus der Produktion fallen. Wer den Anbaustopp dann beibehält, trägt nicht zum Erhalt des Weinbaus bei, sondern beraubt sich seiner Chancen. International werden an die Landwirtschaft ganz andere Forderungen gestellt. Sie muss produktiver werden und mehr Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung produzieren. Die WHO hat vor Kurzem gefordert, dass die Landwirtschaft die Aufgabe hat, so viel und so gut wie möglich Lebensmittel zu produzieren. Ich glaube an unsre Chancen. Rheinland-Pfalz exportiert 30 Prozent seiner Weine. Endlich haben wie neben den international gefragten Weißweinen auch Rot- und Roséweine, die wie exportieren können. Ich verstehe gar nicht, warum das nicht gesehen wird. Warum sollen nicht z.B. in Rheinhessen oder in der Pfalz nach Aufhebung des Anbaustopps hunderte von Hektar Weinbau entstehen mit Rebsorten, die wir heute importieren müssen wie beispielsweise Grüner Veltliner oder Sauvignon Blanc oder international gefragten Rotweinrebsorten. Das ergäbe neue Arbeitsplätze, gut genutzte Flächen, Wachstum für unsere Wirtschaft, Chancen im Inland und im Export.
Mit welchen Änderungen der betrieblichen Strukturen rechnen Sie, sollte der Anbaustopp auch in Deutschland fallen?
Die Aufhebung des Anbaustopps eröffnet für all jene Chancen, die expandieren wollen. Betriebe, die heute auf 20 Hektar beschränkt sind, könnten beispielsweise auf 160 Hektar aufstocken und mit fast gleichen Personal und Aufwand wettbewerbsfähiger sein. Für die, die heute schon in der Top-Liga spielen, ändert sich wenig. Die müssen ihr Niveau halten. Was wir momentan haben, ist doch ein Schutzzaun, der Seiteneinsteiger verhindert. Das ist schädlich für die Branche und ein Verstoß gegen die Prinzipien einer freien Wirtschaft. Konkurrenz schafft natürlich auch immer Verlierer und Gewinner. Wo Einsteiger sind, gibt es auch Aussteiger. Davon lebt unsere Wirtschaft. Wer sich abschottet verliert in jedem Fall.
Wird die Weinbranche zu oft idealisiert und falsch verstanden?
Was viele Weinbaufunktionäre und Politiker nicht verstehen, ist die Inhomogenität derWeinbranche und der divergierenden Ziele der am wirtschaftlichen Geschehen Beteiligten: Die Winzer wollen einen möglichst hohen Preis erzielen. Die Kellereien und Vermarkter sind dagegen an einer möglichst hohen Spanne interessiert. Der Einstandspreis ist eigentlich egal. Eine Kellerei kann genauso gut leben, ob der Wein ein oder zwei Euro kostet. Die Marge ist entscheidend.Für den Endvermarkter im LEH, im Fachhandel und im Getränkehandel ist es vorteilhaft, wenn der Abgabepreis niedrig ist. Umso mehr Menge kann er verkaufen. Also hat er Interesse an möglichst niedrigen Preisen und gibt das an seine Vorlieferanten weiter. Jeder verfolgt seine eigenen Ziele und das wird leider zu wenig berücksichtigt.
Wie könnte sich eine Aufhebung des Anbaustopps auf das Anbaugebiet Mosel auswirken? Wie lassen sich die Steillagen erhalten, auf die Sie von Ihrer Kellerei auf der anderen Moselseite blicken?
Die Traubenerzeugung in Steillagen ist teurer als in Flachlagen. Ein Ausgleich kann durch höhere Preise erfolgen, wenn man solche höheren Preise erzielt, einen Namen hat und die Qualität der erzeugten Weine das hergibt. Das ist aber nur in Ausnahmefällen so. Die Beibehaltung des Anbaustopps wird auch in Zukunft nicht zum Erhalt der Steillagen beitragen. Das war in der Vergangenheit nicht so und wird auch in Zukunft nicht sein. Meiner Meinung nach muss sich der Staat, oder wenn Sie so wollen, die Gesellschaft outen, was sie wirklich will: Erhalt des Weinbaus in Steillagen oder nicht. Denn für den Erhalt werden direkte Subventionszahlungen notwendig sein. Außerdem muss alles getan werden, um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen, dazu gehören beispielsweise auch erleichterte Bedingungen für die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte. Den Erhalt von Steillagen kann man gut mit dem Erhalt einer alten Burg oder anderer historischer Gebäude vergleichen. Sie werden ihrer selbst Willen unterhalten, weil sie einen besonderen Zusatznutzen bieten. Der Erhalt von Steillagen wird langfristig nur mit Subventionen gesichert werden können. Daher bin ich für solche Subventionen.
Was halten Sie von Qualitätsklassifizierungen zum Erhalt von Steillagen?
Alle künstlichen Klassifizierungen sind problematisch. Meinetwegen kann das auf der Ebene eines Vereins oder eines Konsortiums funktionieren, aber allgemeinverbindlich ist das sehr problematisch. Die Frage der Qualität ist schwierig zu beantworten und auf keinen Fall mit einem absoluten Maßstab zu messen. Persönliche Werturteile spielen deshalb gerade beim Wein eine so große Rolle. Nur weil jemand sagt, dass etwas gut ist, muss es ein anderer lange nicht so empfinden. Was wiederum in dem Zusammenhang viel zu wenig berücksichtigt wird: Die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen von Jahrgang zu Jahrgang erzeugen unterschiedliche Qualitäten in den gleichen Lagen. Das erleben wir hier gerade an der Mosel immer wieder.
Werden sich die deutschen Kellereien auf EU-Ebene Gehör verschaffen, sollte der Anbaustopp in Deutschland nach 2015 beibehalten und in anderen EU-Ländern abgeschafft werden?
Wenn die EU an ihrer Politik der Freigabe festhält und Deutschland den Anbaustopp beibehalten würde, werden sich die Kellereien überlegen müssen, wie sie diese Ungleichbehandlung im europäischen Raum zu bewerten haben. Hierüber gibt es bereits Einigkeit. Eine Konsequenz kann sein, dass die Kellereien vor dem europäischen Gerichtshof klagen werden. Im europäischen Umfeld kann eine solche Benachteiligung der deutschen Weinwirtschaft nicht widerstandslos hingenommen werden.
Da sagt Michael Willkomm viel Richtiges.
Unterstützen möchte ich vor allem die Position, dass es keinen Zusammenhang zwischen Steillagensterben und der Aufhebung des Anbaustops gibt.
Trotzdem bleibt natürlich auch auf potentiellen Neuanpflanzungsflächen ggf. die Aufschrift “Deutscher Wein”, für mich ein Grund die Weinbaueignung von Flächen nicht ausser Acht zu lassen. Eine Lösungsvariante für mich: Pflanzrechte fallen lassen, aber in den ausgewiesenen potentiellen Rebflächen bleiben. Da ist auch noch einiges an Wachstumspotential.
Einig sind wir uns auch in der Beurteilung der Großlagenbezeichnung – ich denke wir stehen hier auch kurz vor deren Abschaffung.
Nicht mitgehen möchte ich mit dem Vorschlag der erweiterten Ortsweine, wir sollten jetzt keinen neuen Tatbestand schaffen der die Kongruenz zwischen Etikett und Inhalt aufhebt – wo Piesport draufsteht, sollte (in den Verschnittgrenzen) auch nur Piesport drin sein. Ausserdem müssen die Bedingungen für einen Ortswein immer höher sein als für einen Gebietswein.
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