Nachfolgend veröffentlichen wir einen Gastkommentar von Peter Züllig. Dieser Kommentar ist aus einem Mailwechsel entstanden, den Züllig und der Blogggwart, durchaus kontrovers, geführt haben.
Ein Thema, das mich seit einiger Zeit umtreibt und – ich gebe es zu – mehr und mehr belastet und verärgert. Die einen nennen es Kurzlebigkeit (im Zeitalter der Internet-Kommunikation), andere sprechen von „postmoderner Beliebigkeit“. Das Phänomen ist nicht nur im Internet anzutreffen, genau so ist es in der Architektur, in der Kunst, im Journalismus, im Finanzwesen, beim Wein und, und, und… zu finden. Es gibt auch das Modewort „Nachhaltigkeit“ – in der Bankenkrise immer wieder zitiert. Verlangt wird mehr Nachhaltigkeit – zum Beispiel im Finanz- und Bankenwesen. Dahinter versteckt sich ein Problem des wirtschaftlichen und sozialen Verhaltens, das nicht nur einzelne Menschen, Firmen, Wirtschaftszweige, ja sogar Staaten und Staatsgemeinschaften in den Ruin treiben kann. Nachhaltigkeit ist eigentlich ein Begriff aus der Forstwirtschaft – hat also mit dem Banken- und Kommunikationswesen nichts zu tun. Er verlangt in etwa: „die Bewirtschaftung eines Waldes, bei der immer nur so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann“ (Wiktionary). Im übertragenen Sinn bedeutet dies: Aktuelle Bedürfnisse und Entwicklungen so zu steuern, dass auch künftige Generationen in der Nutzung nicht eingeschränkt werden. Sehr theoretisch? Mag sein, doch Nachhaltigkeit ist gerade in „sozialen Netzwerken“ (socials network) zum zentralen Problem und Anliegen geworden.
Es betrifft auch all die Errungenschaften, die uns das Internet gebracht hat, von der einfachen Einwegkommunikation (Werbung, Verkündigung, Verfügbarkeit…) bis hin zu offenen Diskussionsplattformen (Forum, Facebook, Blog. Twitter…..) Immer noch zu theoretisch? Wahrscheinlich. Ich versuche das Problem nochmals eine Stufe weiter hinunter zu brechen. Kommunikation – soll sie nicht reiner Selbstzweck sein – beruht auf Verbindlichkeit. Ich muss zumindest das Umfeld kennen: Wer kommuniziert was, zu welchem Zweck, mit welchen Begriffen, in welchem Zusammenhang. Kommunikation (Worte, Bilder, Filme…) sind immer mit Autorenschaft verknüpft. Sie schwebt nicht frei im Raum, sie ist immer mit einem kulturellen Hintergrund verbunden, der wesentlich zum Verständnis und zur Wirkung einer Aussage, einer Botschaft, einer Mitteilung beiträgt. Genau da haben soziale Netzwerke ihre Schwächen und ihre Stärken.
Desto offener (basisdemokratischer) solche Netzwerke sind, desto stärker zeigen sich die Schwächen. Es wird nur noch kommuniziert um der Kommunikation willen: wer, was, wo, wie, warum zum Ausdruck bringt (schreibt, sagt, zeigt…), spielt überhaupt keine Rolle mehr. Es werden einfach einmal möglichst viele Aussagen, Botschaften in die Welt gesetzt und diese rollen – quer durch das Netz – systembedingt – weiter und weiter, rasch einmal ohne AutorIn, ohne Hintergrund, letztlich ohne Kultur. Zitate, einst ein wichtiges Kulturgut der Kommunikation, verlieren ihren Sinn, sind sinnlos geworden. Mitteilungen verlieren, ohne die klassischen journalistischen W’s, ihre Bedeutung, sind also bedeutungslos geworden. Zentrale Werte des Menschseins, des Zusammenlebens, wie Wertschätzung, Vertrauen, Freundschaft, Verlässlichkeit lösen sich auf, sind also wertlos und unverbindlich geworden.
Dies ist der Hintergrund einer Kolumne, die ich im Magazin von Wein-Plus zu diesem Thema verfasst habe. Im Kontext einer Kolumne (mit ihren eigenen Regeln) ist dieser Text wohl verständlich, zumindest ist er einzuordnen (denn ich schreibe seit fast fünf Jahren alle 14 Tage eine Kolumne am gleichen Ort, in der gleichen Form, mit der gleichen Autorenschaft). Herausgerissen aus dem Umfeld aber – ins Unverbindliche von sozialen Netzwerken (Blogs, Facebook etc.) gestellt – ist sie vielleicht unverständlich, interpretationsbedürftig, ja sogar ein Ärgernis. So geschehen, als Dirk (den ich aus früheren Forumszeiten kenne, bei dem ich schon auf seiner Königsmühle zu Gast war) mehr oder weniger zufällig meine Kolumne gelesen hat und mit einem wütenden persönlichen Mail (direkt an mich) quittierte. Daraus entstand ein Dialog über Verbindlichkeit im Netz, über Nachhaltigkeit und Vertrauen, über Kontinuität und Freundschaft und schliesslich auch – auf Dirks Bitte – dieser Beitrag in seinem Blog. Vielleicht entsteht daraus sogar noch eine fruchtbare (verbindliche, nachhaltige) Diskussion, die das eine oder andere der Probleme von Web-2.0 (und weitere Entwicklungen) klären oder bewusst machen kann.
Ich meine nämlich, dass durch die Unverbindlichkeit, die Beliebigkeit, die Kürze und vor allem durch die Begriffsumdeutungen in Netzwerken wie Facebook die soziale Kommunikation mehr zerstört als gefördert wird. Das Wort Freundschaft (wohl eines der wichtigsten sozialen Elemente) wird abgewertet, geradezu inflationär verwendet. Es geht nur noch um Dabeizusein, möglichst viele sogenannte „Freunde“ zu finden. Dies ist längst das wichtigste „Geschäft“ eines jeden Kommunikators (Erfolgsmeldung: in ein paar Wochen tausend Freunde) – eigentlich ist aber nichts anderes, als die „Reichweite eines Mediums“ (medientechnisch ausgedrückt) zu erhöhen. Wer die grösste Reichweite hat, macht das Geschäft (auch wenn dieses „Geschäft“ in vielen Fällen eher ein Hobby ist)! Diskussionen erschöpfen sich im generalisierten Klick „gefällt mir“ oder in saloppen Bemerkungen wie: „….mon dieu, das muss ich wirklich nicht haben“, oder so ähnlich. Damit wird – hier zum Beispiel ein Wein – kurz und bündig abqualifiziert. „Schifflein versenken“, nannten wir dies früher. Im unglaublich hart gewordenen „Kampf um Aufmerksamkeit“ muss auch immer heftiger zugeschlagen, undifferenziert versenkt oder aufs Podest gehoben werden. Sonst bricht das Kommunikations-System zusammen, die Nachhaltigkeit geht verloren.
Engagierte Akteure im weltweiten Netz haben diese Schwächen und Grenzen längst erkannt und betreiben deshalb ihren eigenen Blog. Diese sind zwar offen nach aussen, im inneren aber geschlossen, wie zur Abonnements-Zeiten von Zeitungen, Zeitschriften und Publikationen. Wer in einem Blog (oder in mehreren) mitmacht, kennt die Akteure, das kulturelle Umfeld, weiss um die Art und Weise der Kommunikation (kennt die journalistischen W’s), die Hintergründe, die Absichten, ja ist selbst mit der Sprachregelung vertraut. Da gibt es durchaus Vergangenheit und Fortsetzung (Zukunft). Nur so kann die zeitraubende Beliebigkeit reduziert oder ausgeschlossen werden. Deshalb entstehen wohl dauernd neue Blogs, welchen die Unverbindlichkeit und die Beliebigkeit von offenen Foren reduzieren oder beseitigen möchten. Man redet (kommuniziert) wieder miteinander, auch wenn die Kommunikation schneller und kürzer wird.
Zum Schluss, einfach damit das Umfeld dieses Beitrags richtig einzustufen ist: ich gehöre der älteren Generation an, die Nachhaltigkeit (siehe oben) ist für mich ein Anliegen, meine Lebenszeit wird (naturgemäss) immer beschränkter, ich nutze das Netz (mit allen neuen Formen und Technologien) seit es existiert, ich tummle mich gerne und ich meine auch flexibel, in den verschiedensten Kommunikationsformen (vom Chat über die Foto bis zum Film) und ich meine, die Welt ist (zwar nicht besser), aber offener, weltiger geworden, seit es das Netz gibt. Ich reserviere auch Zeit – oft viel Zeit und immer noch zu wenig – um darüber nachzudenken und nicht einfach nur um wieder und wieder zu kommunizieren. Deshalb liegen mir Begriffe wie Nachhaltigkeit, Kontinuität, Verbindlichkeit, Vertrauen, ja auch der sozialromantische Begriff „Freundschaft“ viel näher, als blosse Schnelligkeit, als Reichweite und Gehörtwerden.
Ein Beitrag, der zum Nachdenken animiert, sehr gut verfasst! Meine persönliche Erfahrung ist, dass es auf die Nutzer ankommt. Ich lebe in Griechenland und habe es gelernt, durch die social networks echte und “nachhaltige” Kontakte, ja, sogar echte Freundschaften aufzubauen. Es ist ein Fakt, dass diese Werkzeuge es erlauben, mit vielen Personen in Kontakt zu kommen – nun, jeder Kontakt muss gepflegt werden, dies gilt insbesondere bei Twitter, Facebook usw. Ansonsten ist es eben nicht mehr als das, ein Kontakt, der keine Aussagekraft beinhaltet. Diese Kontakte können aber ins echte Leben hinein erweitert werden. Dies bedarf Aufmerksamkeit, Austausch, und echtes Interesse. Wenn diese Anforderungen erfüllt werden, eröffnen social networks ganz neue Perspektiven. Wie gesagt, es hängt vom Nutzer ab, was erreicht werden soll, aber die Perspektiven sollte man nicht so allgemein von der Hand weisen.